Starke Frauen im Städtle

38,8 Grad – nie war es heißer im Städtle bei der Vernissage „Starke Frauen im Städtle“

Tasso am 7. August 2015, Bischof-Moser-Haus
Rede von Peter Rauscher, Nürtingen


Liebe Freunde, meine Damen und Herren,
herzlich willkommen zur Ausstellungseröffnung „Tasso Athanasiadis – Starke Frauen im Städtle“. Dies ist die 3. Ausstellung mit Bildern von Tasso. Die vorige Ausstellung hat thematisch den Schwerpunkt „Kneipenmilieu“. Zunächst einmal möchte ich allen danken, die Tasso in den letzten Jahren seines Lebens begleiteten, ihn unterstützten und ihn auch zum Malen anregten. Ich möchte dies pauschal tun, um zu verhindern, dass ich jemanden nicht nennen könnte. Besonderer Dank gehört denen, die dafür sorgten, dass Tasso eine würdige Beerdigung erhielt. Beerdigt ist er auf dem Pragfriedhof. Die Traueranzeige für Tasso ist unterschrieben von Ille, Al, Michael, Veronika und Thomas. Heidi Schmid und Adele Sperandio gehört ein besonderer Dank, denn sie haben die Bilder „gerettet“. Diese Ausstellung ist Tasso gewidmet und sie ist auch eine Benefizausstellung für das Clara-Zetkin-Waldheim. Die Traueranzeige zu Tasso beginnt mit einem Zitat von Friedrich Hölderlin „Komm! Ins Offene, Freund“. Diese Zeile ist aus dem Gedicht „Der Gang aufs Land“ und es geht so weiter: „Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute nur herunter.“ Und dieses Wenige soll heute zum Glänzen kommen. Sprechen wir von Tasso, von Tassos Leben und von seinen Bildern. Es wäre nun leicht über Tasso den moralischen Zeigefinger zu erheben und sein Leben zu verdammen. Ich möchte einen anderen Weg gehen. Tasso ist am 8. Mai 1947 geboren, sein Vater war Grieche, sein Mutter Deutsche. Wenn man Tasso ärgern wollte, dann musste man ihn nur mit seinem vollen griechischen Namen anreden. Auch verschwieg er seine griechische Herkunft, er sprach nicht Griechisch und er mühte sich auch nicht besonders, Kontakte zu unseren damaligen zahlreichen griechischen Freunde aufzunehmen. Er verschwieg auch, dass sein Vater das BALI am Hauptbahnhof betrieb. Obwohl das BALI für uns eine wichtige Zufluchtsstätte war. Wenn man heute den heruntergekommen Bahnhof sieht, kann man kaum glauben, dass die BALI-Bar eine fast mondäne Bar mit Sesselchen und Couchtischen war. Sie war für uns aus den Vororten Stuttgarts die letzte Möglichkeit einzukehren, wenn die letzte Straßenbahn und der letzte Zug nachts abgefahren waren. Anschließend gingen wir ins BALI-Kino, dort liefen Filme mit Eddie Constantin nach dem Motto, ein Schuss fünf Tote. So überbrückten wir die Wartezeit bis gegen 4 Uhr die ersten Züge wieder fuhren. Dies verschwieg Tasso. Und warum dies? Ich begebe mich nun auf das Feld von Vermutungen. Tasso ist 1947 geboren, sein Vater war Grieche und Tasso ist in Deutschland geboren. Wie kommt aber ein Grieche kurz nach dem Sieg über den Faschismus und am Ende des 2. Weltkriegs nach Stuttgart? In Zeiten des allgemeinen Griechenbashings ist es angebracht an die gemeinsame deutsche und griechische Geschichte zu erinnern In Griechenland war mit Ende der deutschen Besatzung der Krieg noch nicht zu Ende, es kam zu einem heftigen Bürgerkrieg. Man geht davon aus, dass insgesamt etwa 70.000 bis 80.000 Griechen im Partisanenkrieg oder bei Vergeltungsaktionen von deutschen, italienischen und bulgarischen Truppen getötet wurden. Nun aber zurück zu meiner Frage, wie kommt ein Grieche nach Kriegsende nach Stuttgart? Es kann nur eine Antwort geben, die auch Tassos Verhalten erklärt. Der Grieche war Nazikollaborateur. Nun haben wir viele unserer Generation unter der Nazivergangenheit unserer Väter zu leiden oder zu leiden gehabt. Bei Tasso kam aber noch ein anderes Problem dazu. Von 1967 bis 1974 herrschte in Griechenland (ein NATO-Land und mit dem Vorläufer der EU assoziiert) eine Militärjunta, die durch einen Obristenputsch ausgelöst wurde. 1967 war Tasso 18 Jahre alt und er sollte als griechischer Staatsbürger, der dazu hin noch kaum Griechisch sprach und zu Griechenland keine Bindung hatte, zum Militär in Griechenland eingezogen werden. Ich kann mich noch gut an Gespräche mit Tasso über diese Frage erinnern. Er zog die Konsequenz, die für sein späteres Leben sicherlich sehr prägend war, er ging in die Illegalität um nicht nach Griechenland ausgeliefert zu werden, er lebte von Kneipenjobs, weder war er krankenversichert noch sonst wie abgesichert. In dieser Zeit nächtigte er mal hier und mal dort, teilweise auch in unserem alten Vorkriegsmercedes, dessen rechte Vordertür nicht abschließbar war und der häufig am Wilhelmsplatz stand. So begann Tassos Leben abseits gesellschaftlicher Normen, ohne geordnete ärztliche Versorgung, ohne ärztliche Hilfe für sein verletztes Bein. Und so kann die große Politik, das Leben von Menschen prägen und beeinflussen. Tasso jobbte in den verschiedensten Kneipen – wie schon davor – als Kellner: im Kleinamerika, im Brett, in Rogers Kiste u.a. und vor allem auch im LAB gemeinsam mit Heidi und Randolph Schmid. Gast war er im politisch-literarischen Club Voltaire. Spätere Versuche eine Kneipe zu pachten, misslangen. Für viele von uns war es eine Überraschung, dass Tasso malte. Seine Bilder sind keine realistischen Darstellungen des Städtles und seiner Kneipen, die häufig auf Ruinen notdürftig aufgebaut wurden. So z.B. das Eger oder auch das legendäre Finkennest mit seinen großen und kleinen Schlüpfern an der Decke. Das Bohnenviertel war noch nicht aufgemotzt durch Bistros und Boutiquen. Tasso wollte wohl in erster Linie die Atmosphäre des Städtles darstellen. Das Leonhards- und das Bohnenviertel spielten ja auch in seinem Leben eine wichtige Rolle, sie waren so etwas wie nie erlebte Heimat für ihn. Seine Bilder sind kein verklärender, nostalgischer Rückblick auf vergangene scheinbar bessere Zeiten, denn auch im Städtle gab es Zuhälter und Prostitution, gab es Schlägereien. Seine Bilder waren wohl auch sein Therapie, seine Erinnerung an sein eigenes Milieu. Sie halfen ihm über seine Verarmung und Vereinzelung wohl hinweg. Autodidaktisch malte er Akte, Kneipenmilieus, Stadtansichten, Frauen, Kneipenarchtiketur und das Nachtleben im Städtle. In seinen Bildern sehen wir schräge Kneipengänger, vom Leben gezeichnete Menschen, und schillernde Menschen der Nacht, aber auch Stadtansichten und Strandszenen. Schwerpunktmäßig heisst die heutige Bilderauswahl „Starke Frauen im Städtle“. Und es gab diese starken Frauen trotz Prostitution und Elend. Ich möchte nicht so vermessen sein, hier zu urteilen. Nennen möchte ich aber zwei starke Frauen, die es alleine fertig brachten, sich und ihr Umfeld zu ernähren und sich auch zu emanzipieren in einer von Männern geprägten Kneipenwelt. Nennen möchte ich Emma (Melle) Widmer aus der gleichnamigen Weinstube und Hella, die Wirtin des Egers. Diese Kneipen behielten ihren von den Wirtinnen geprägten Charakter und fielen nicht dem Rotlichmilieu anheim. So wurden diese für viele von uns zum Treffpunkt, ja gar zum Wohnzimmer. Vor allem war auch der Club Voltaire in der Leonhardstraße 8 ein solcher Treffpunkt. Kenngelernt habe ich Tasso im legendäre Jeschke, wohl bei einem Glas „Schlamper“ Bevor ich Euch bitten möchte, die Bilder zu betrachten, möchte ich noch etwas zitieren und hoffen, dass neben den Bildern dieses Zitat in eurer Erinnerung über Tasso bleiben wird. Helmut Engisch schrieb einen Text mit dem Titel „Das Brett. Halbe, Hasch und Habermas“. Mit diesem Titel sind die verschiedenen Fraktionen des Bretts beschrieben. Es fehlen nur die Herren mit den goldenen Kettchen zwischen den Knopfleisten ihrer Hemden. Als die „Halbefraktion“ ausreichend gewürfelt und gebechert hatte, diskutierte sie darüber, ob sie noch ein Bier trinken sollten oder lieber etwas essen sollte. „Bei solch entspannungsförderndem Diskurs war es kein Wunder, dass die Begeisterung für die Auseinandersetzung über neue Tendenzen der Gegenwartskunst mit der Zeit deutlich schwächelte und sich die bereits recht stimmungsvolle Runde anderen, lebensnäheren Themen zuwandte. Etwa der Frage, ob es angezeigt sei, sich nach dem Genuss von einem halben Dutzend Halben und etlichen Schnäpsen einen Teller Rindfleisch mit Soße und gekochten Kartoffeln oder eine Portion Spaghetti mit Tomatensoße einzuverleiben, oder ob solch deftige Kost den Magen nicht ungebührlich in seinem Gleichgewicht störe. Eine Frage, die meist klar zugunsten einer neuen Runde Bier entschieden wurde, worauf die erste Servierkraft des Hauses, der stets umsichtige Tasso, sich genötigt sah, seinen Verpflichtungen nachzukommen und sich ächzend von seinem Stuhl zu erheben.“ Ich wünsche euch Freude und gute Erinnerung bei der Betrachtung der Bilder von Tasso!

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